Zeitzeugen: Interviews zum Berliner Mauerfall
Lüneburg, Deutschland
Interview mit Bernd Werner
Bernd Werner wurde 1959 in Mannheim/Baden-Württemberg geboren. Er lebt seit 2004 in Lüneburg/Niedersachsen.
Für Bernd Werner ist die demokratische Revolution 1989 als Westdeutscher und Pastor ein emotionales Erlebnis. Sein Cousin war als Soldat bei der Volksarmee an den Montagsdemonstrationen beteiligt, was Bernd Werner bis zu diesem Zeitpunkt nicht wusste. Er berichtet auch von seinem Wirken in der Gemeinde und unter welchem Druck die Demonstranten*innen standen. Schon als Student brachte er sich in den Kirchengemeinden ein und bohrte Löcher in die Betonelemente der Mauer um Menschen zusammenzuführen. Im Gedächtnis blieben ihm vor allem die bürokratischen Hürden, um über die Grenze zu reisen. Im europäischen Kontext sieht er die Wende als bedeutenden Einschnitt, der zu einer nachhaltigen Friedenskultur beiträgt. Als negativ nahm er die Aneignung von touristischen Ortschaften der DDR war. Er berichtet auch von den unausgeglichenen wirtschaftlichen Machtverhältnissen zwischen Ost und West und der Überforderung für die Gesamtbevölkerung durch die rasch vollzogenen Veränderungen.
TAGS: Westdeutscher Pastor, Gemeindearbeit, Montags-Demonstrationen, Reisefreiheit, Friedenskultur in der EU, Menschenrechte.
Interview mit Gisela Plaschka
Gisela Plaschka wurde 1954 in Stelle/Niedersachsen geboren. Sie lebt in Amelinghausen/Niedersachsen.
Für Gisela Plaschka war die demokratische Wende ein Glücksfall in der deutschen Geschichte, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Sie berichtet von vollen Straßen und vielen glückerfüllten Ausreisenden um den November 1989 rum. Jedoch berichtet sie auch von einer ablehnenden Haltung seitens der Ostdeutschen und nicht eingehaltenen Versprechen sowie der Angst vor Arbeitslosigkeit.
Die Reisefreiheit innerhalb Europas ist einer der wichtigsten Meilensteine. Weiter berichtet sie von den vielen Migrationswellen, die sie in ihrem Leben erlebt hat und welche Chancen durch diese entstehen können. Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten stehen in der Verantwortung, Migration und Integration zu regeln, betont Plaschka als Politik- und Wirtschaftslehrerin.
Sie berichtet von einer politikinteressierten Jugend. Gerade der Bezug zur Kommunalpolitik sei sehr wichtig. Auch Demonstrationen wahrzunehmen, sei für Schüler*innen ein bedeutendes und prägendes Instrument, sich politisch zu beteiligen.
TAGS: Erfahrungen vom Tag der Grenzeröffnung, Angst vor Arbeitslosigkeit, Reisebeschränkungen, Migration und Integration.
Interview mit Kathrin Schmidt
Kathrin Schmidt wurde 1966 in Genthin/Sachsen-Anhalt geboren. Sie lebt seit 2008 in Lüneburg/Niedersachsen.
Am Tag der Grenzeröffnung fand sich Kathrin Schmidt am Brandenburger Tor ein. Sie berichtet von der euphorisierenden Stimmung und der starken Medienpräsenz. Als Ostberlinerin war der Tag der Grenzeröffnung surreal, da sie damals nicht damit gerechnet hatte, dass sowas überhaupt jemals geschehen könnte.
Gerade die neugewonnene Reisefreiheit ist für Schmidt in Erinnerung geblieben. Auch wenn sie die Wende persönlich als großes Glück empfand, teilt sie das Leid vieler Freunde, die bis heute unter Arbeitslosigkeit leiden.
Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, die unter Bürgern der ehemaligen DDR verbreitet sind, begründet Schmidt mit der Angst vor dem Fremden. In der DDR hätte es kaum Berührungspunkte mit Flüchtlingen gegeben.
TAGS: Perspektive einer Studentin aus DDR, Tag der Grenzeröffnung am Brandenburger Tor, Rechte Gruppen und Populismus, Fremdenfeindlichkeit, Perspektiven für EU.
Interview mit Thomas Becker
Thomas Becker ist Rechtsanwalt und Notar in Lüneburg/Niedersachsen. Er wurde 1951 in Lüneburg geboren.
Im Zuge der Grenzeröffnung berichtet Becker von seinen Begegnungen mit Ostdeutschen, den es anzusehen war, dass sie fremd seien.
Er berichtet von einem Besuch in, von Schwerin und den dort vorzufindenden maroden Bauwerken, von Erwartungen seitens der Ostdeutschen, die durch Helmut Kohl geweckt und nicht erfüllt worden waren. In seiner Arbeit und Beteiligung in verschiedenen Unternehmen, Organisationen und Verbänden begegnete er starken wirtschaftlichen Umstrukturierungen.
Was in seiner Auffassung dringend vermieden werden sollte, ist es, neue politische Machtgrenzen zu ziehen. Von der Regierung der Europäischen Union erwartet eine Verlagerung rechtlicher Zuständigkeiten von der nationalstaatlichen auf eine höher stehende Ebene, solange das Versprechen eines vereinten Europas und herrschenden Friedens eingehalten wird.
TAGS: Tag der Grenzeröffnung, marode Bauwerke in DDR, wirtschaftliche Umbrüche, Perspektiven für EU, Treuhandverhältnisse (Übertragen voller Rechtsmacht von Unternehmen).
Interview mit Jens-Uwe Thümer
Jens-Uwe Thümer wurde 1967 in Westberlin geboren. Er lebt seit 1995 in Lüneburg/Niedersachsen.
Berlin ist für Jens-Uwe Thümer ein Symbol für Teilung und eine friedliche Revolution. Er erinnert sich noch gut an das Gefühl der Überraschung, als er durch das Radio von der Grenzöffnung erfuht. Er war zu diesem Zeitpunkt Jurastudent. Er erzählt von den feiernden Massen neben den verunsicherten Grenzbeamten.
Er berichtet weiter von den verschiedenen Bewachungsformen an der Grenze und seiner Verhaftung während eines Ausflugs in die DDR: Nach einem stundenlangen Verhör wurde seitens der Staatsmacht der DDR versucht, ihn für die Staatssicherheit anzuwerben.
In Erinnerung blieben ihm vor allem die vielen
Menschenrechtsverletzungen und Ängste der Bevölkerung. Letzteres auch im heutigen Kontext im Umgang mit Flüchtlingen und sieht politischen Handlungsbedarf. Die Digitalisierung sei gerade für die Jugend wichtig, um sich
international zu vernetzen und zu politisieren. Auf europäischer Ebene sollte unter anderem das „Initiativrecht“, Gesetze
vorzuschlagen, durchgesetzt werden.
TAGS: Erinnerung an Tag der Grenzeröffnung, Erfahrungen mit Stasi, Rechte Gruppen, Populismus, Perspektiven für EU.
Interview mit Michael Senkpiel
Michael Senkpiel wurde 1964 in Güstrow/Mecklenburg-Vorpommern geboren. Er lebt seit seiner Flucht 1989 in der Bundesrepublik Deutschland – seit 1993 in Eyendorf/Niedersachsen.
In der DDR geboren und sozialisiert, bestand für Michael Senkpiel immer ein starker Drang zu flüchten. Er berichtet von einigen gescheiterten Fluchtversuchen, der Willkür des DDR-Staates bei Reisebeschränkungen und der eingeschränkten Meinungsfreiheit. Seine Frau flüchtete zunächst allein mit den Kindern. Senkpiel flüchtete später über die polnische Grenze.
Er musste sich im Nachhinein bei den Zurückgelassenen für seine Flucht rechtfertigen und sich der dem Vorwurf stellen, sich nicht an der Revolution beteiligt zu haben. Dennoch bereut er seine Flucht nicht und betont, dass gerade diese Fluchtbewegungen auch einen Teil zur Widervereinigung beigetragen haben.
TAGS: Fluchtversuche, Flucht, Reisebeschränkungen, Erinnerungen an Tag der Wiedervereinigung.